Autorin: Angelika Vanek-Enyinnaya

In den 15 Jahren meines früheren durchaus stressigen, zweigleisigen Berufslebens – als freiberufliche Übersetzerin für Italienisch einerseits und als Sekretärin in einem Architekturbüro andererseits – habe ich mich mehr als einmal gefragt, warum ich mich nicht entweder für die eine oder für die andere Tätigkeit entscheide. Vermutlich aus Leidenschaft für beides habe ich es nicht getan.

Es war dann im Frühjahr 2008, ich war bereits seit vier Jahren Alleinerzieherin meines damals fünfjährigen Sohnes, als schließlich für mich doch recht unerwartet die Entscheidung kam. Mein Körper traf sie für mich. Wie aus dem Nichts heraus litt ich plötzlich an Panikattacken und ein dauerhafter Schwindel hinderte mich daran, geradeaus gehen zu können. Ich war verzweifelt und da ich überzeugt war, an einer schweren körperlichen Krankheit zu leiden, wollte ich unbedingt ins Krankenhaus. Eine Freundin organisierte mir in weiser Voraussicht einen Platz in der Psychiatrie und daraus wurden schließlich acht Wochen stationärer Aufenthalt, die mein Leben von Grund auf veränderten.

Schon bald erfuhr ich in Gesprächen mit Mitpatientinnen von deren Ängsten vor der Entlassung, weil sie in belastende, oft auch bedrohliche Familiensituationen zurückkehren mussten oder weil sie nicht wussten, wie sie mit der Einsamkeit in ihrer Wohnung zurechtkommen sollten oder schlicht und einfach von dem auf sie zukommenden Alltag überfordert waren. Dies beschäftigte mich sehr, da ich selbst das Glück hatte von meiner Familie vollste Unterstützung zu erfahren und mich in Ruhe erholen konnte. Als ich mehrfach mitbekam, dass Patientinnen schon wenige Tage, nachdem sie aus der Klinik entlassen worden waren, wieder zurückkamen, blitzte in mir immer wieder der Gedanke auf, dass es doch ein Haus geben müsste, in dem Frauen nach einem stationären Psychiatrieaufenthalt noch Zeit für Genesung bekommen und wo sie sich in familiärer Atmosphäre geborgen und zuhause fühlen können.

Der Gedanke ließ mich nicht mehr los … und nie in meinem Leben werde ich den Moment vergessen, als ich vom Faxgerät des Schwesternzimmers der Psychiatrie meine Kündigung an das Architekturbüro schickte. Die Entscheidung war gefallen – es war nicht mehr die Entscheidung zwischen Übersetzungstätigkeit und Architektursekretariat, sondern die Entscheidung für etwas Drittes, von dem ich bis vor Kurzen noch gar nicht wusste, dass es existierte.

Was dann folgte, war ein faszinierender Gründungsprozess. Ich fragte einen Mitpatienten, der ebenfalls auf der Suche nach einer beruflichen Neuorientierung war, ob er sich vorstellen könnte, mit mir gemeinsam ein Konzept für ein solches Haus zu entwickeln. Er konnte. Und so feilten wir ein Jahr lang an unserem Konzept, recherchierten und führten unzählige Gespräche mit Expertinnen und Experten aus dem Sozialbereich. Wir gründeten einen Verein, dessen Zweck es war als Betroffeneninitiative ein Wohn- und Beschäftigungsprojekt für Frauen in Lebenskrisen anzubieten.

Der Name für das neue Projekt, das in meinem Kopf herumgeisterte und langsam Gestalt annahm, ist mir dann praktisch „zugeflogen“. Beim Durchblättern eines Buches über Zeichen und Symbole aus aller Welt, stieß ich auf die Schwalbe als Symbol für die Wendung zum Positiven, für Wagemut und Zuversicht. Was konnte besser zu unserem Wohnhaus passen, als die Vorstellung, dass sich eine Schwalbe wo niederlässt, um ein Nest zu bauen und dann weiterzieht.

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach unserer Entlassung aus der Psychiatrie eröffneten wir dann – wohlgemerkt ohne eine einzige Förderzusage der öffentlichen Hand und nur ausgestattet mit einem Privatkredit, der uns erlaubte, die ersten Mieten für das Haus zu zahlen, unser Wohnhaus Die Schwalbe

Durch kontinuierliche Vernetzungsarbeit mit den diversen Kooperationspartnern wie Krankenhäusern, psychosoziale Beratungszentren und ähnliche Einrichtungen, war das Haus bereits nach wenigen Monaten voll belegt.

Die finanzielle Situation des Projekts war in den ersten Jahren mehr als prekär und nur dank unseres völlig irrationalen Idealismus konnte die Schwalbe in Betrieb bleiben. Mittlerweile zählen das Gesundheitsressort des Landes Steiermark, das Sozialressort des Landes Steiermark und das Sozialamt der Stadt Graz zu unseren Fördergebern und großzügige Privatspenden und Firmensponsorings sichern den Fortbestand des Hauses.

Nun sind fast 14 Jahre seit meiner persönlichen Krise vergangen und immer wieder begegnen mir in der Schwalbe Frauen, die in der Klinik auf derselben Station waren wie ich. Das ist auch nach so vielen Jahren immer noch ein besonderes Gefühl und erfüllt mich mit Dankbarkeit für meine Krise, die sich für mich tatsächlich als Chance erwiesen hat.